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Bald bleibt der Deckel an der Flasche fest

„Tethered Caps“ – angebundene Verschlüsse. Etliche Getränkehersteller in Deutschland machen schon jetzt vor, was bald zur Pflicht wird: Wer die Plastikflaschen ihrer Mineralwasser- oder Limonadenspezialitäten öffnet, ist völlig irritiert, weil sich die Deckel nicht mehr abnehmen lassen. Sie sitzen fest, sind mit dem Flaschenrand verankert. Und wer nun aus dem PET-Behälter seinen Durst löschen möchte, ist zunächst genervt, muss an der richtigen Technik feilen, damit die aufgeklappten Deckel beim Trinken nicht an Mund und Nase piksen und stören.

Doch wir alle sollten uns zügig an die Veränderung am Flaschenverschluss gewöhnen.
Denn vom 3. Juli dieses Jahres an müssen alle Einweg-Verpackungen aus Plastik, aber auch Milch- und Saft in Kartons, zum Beispiel in ­Tetra Pak Boxen, ab dem Inhalt von 0,33 bis zu drei Litern mit den neuen Verschlüssen ausgestattet sein, und zwar aufgrund einer EU-Verordnung, die in Brüssel schon 2019 verabschiedet worden war und nun umgesetzt wird. Die hängenden Deckel heißen „Tethered Caps“, zu Deutsch „Angebundene Verschlüsse“, und gelten als weiterer wichtiger Schritt für mehr Umweltschutz in der Europäischen Union. Denn in der EU sind Mehrweg- und Pfandsysteme eher noch die Ausnahme. Die „Tethered Caps“ in unserer Staatengemeinschaft mit ihren immerhin 448  Millionen Menschen sollen also für mehr Recycling und weniger Plastikmüll in der Natur und ihren Gewässern sorgen – ganz nach dem Motto: Was fest ist, fliegt nicht durch die Gegend.

Müllzählungen haben allein an den Stränden Europas ergeben, dass Kunststoffe bis zu 85 % der Meeresabfälle ausmachen. Die Hälfte davon sind Einwegkunststoffartikel, darunter eben auch zahlreiche Verschlüsse. Ein aufhorchendes Beispiel ist das Ergebnis einer Müllsammlung auf hundert Metern Nordseestrand. Mehr als 40 Kunststoffdeckel landeten auf dieser kleinen Strecke in den Müllkörben. Da lässt sich kaum mehr errechnen, wie viele Deckel es an den Meeres- und Ozeanküsten weltweit sind. Kunststoffe sind problematisch, weil sie sich nur langsam zersetzen. Als Mikroplastik bleiben sie Hunderte von Jahren in der Natur, werden von Tieren an Land und Lebewesen in den Ozeanen aufgenommen und führen millionenfach zu qualvollem Tod. In Deutschland sieht die Lage in Sachen Umweltbewusstsein innerhalb der Bevölkerung deutlich besser aus. Bei uns werden dank des tatsächlich gut fun­ktionierenden Pfandsystems gegenwärtig 97 % aller PET-Flaschen ­zurückgegeben, davon 90 % sogar mit Deckel. Dies hat einen praktischen Grund. Denn der Deckel verhindert das Aus­laufen von Getränke­resten und das ­damit verbundene Verschmutzen von Stoffbehältern.

Unterschiedliche Bewertungen zu dem neuen Flaschenverschluss Ökoexperten, die sich intensiv mit produktbezogenem Umweltschutz beschäftigen, sehen die EU-Richt­linie mit gemischten Gefühlen. Zum einen – sagen sie – lassen sich die hängenden Deckel ohne größere Mühe von den Flaschenhälsen abreißen und weiterhin achtlos in Wälder und Flüsse werfen, viel bedeutender hingegen ist ein anderer Kritikpunkt: Die Richtlinie kann bei vielen Konsumenten den Eindruck erwecken, Einwegflaschen für Getränke seien eine ökologisch sinnvolle Alternative zum Mehrwegsystem. Noch vor 30 Jahren etwa lag der Anteil an Mehrwegflaschen mit Mineralwasser bei 95 %. ­Heute sind es gerade mal 30 bis 40 %. Der erste ­Bundesumweltminister der Grünen, Jürgen Trittin, ­hatte 2003 unter heftigsten Protesten aus Bevölkerung und Wirtschaft das Pfandsystem auf Einweg­flaschen durchgesetzt, um den Mehrwegbereich zu stärken. Eines hat er ­erreicht – und dies darf durchaus als Erfolg gewertet werden: ­Unsere Umwelt, unsere Wiesen, unsere Wälder und Strände sind deutlich sauberer geworden. Das andere Ziel ist ihm nicht gelungen, nämlich das Mehrwegsystem auf dem Getränkesektor zu stärken. Er hat die Bequemlichkeit der Verbraucher unterschätzt, lieber zu leichten PET-Flaschen zu greifen und Pfand zu zahlen, anstatt die schweren Glasalternativen zu schleppen. Aber unterschätzt hat er auch die mächtige PET-Industrie, die sich am Ende mit ihren praktischen und recycelbaren Produkten bei den Verbrauchern durchgesetzt hat. Einwegflaschen bestehen aus einem Kunststoff namens Polyethylenterephthalat, kurz PET genannt.

Der Deckel dieser Flaschen wiederum wird aus einem anderen Kunststoff hergestellt, aus Polypropylen. Der Recyclingprozess läuft dann folgendermaßen ab: Der Kunde entsorgt seine Einwegflaschen samt Deckel bei einer Pfandrückgabestelle, wo die Flaschen zunächst zusammengepresst werden. Die Entsorger schreddern die gepressten Flaschen gemeinsam mit den Deckeln. Anschließend trennt ein sogenanntes Schwimm-Sink-Verfahren die beiden Kunststoffe voneinander, weil sie unterschiedliche physikalische Eigenschaften besitzen. PET sinkt nach unten, ­Polypropylen schwimmt oben. So können die Materialien weiterver­arbeitet werden, beispielsweise zu neuen Einwegflaschen oder auch zu ­Textilfasern.

Die Deutsche Umwelthilfe befürwortet die neue EU-­Verordnung. Aus Einwegflaschen sagt sie trinken die Menschen am häufigsten unterwegs, also in Parks, ­Wäldern, an Stränden. Zwar ist die Rückgabequote der PET-Flaschen mit Deckeln von 90 % beachtlich, dennoch liegt die Quote der nicht zurückgegebenen Deckel bei zehn Prozent, und dies bei jährlich 16,4 Milliarden verkauften Einwegflaschen. Dies könne nun verbessert werden. Verbraucherzentralen betonen hingegen, die „­Tethered Caps“ würden die PET-Flasche nicht ökologischer machen. Das Problem bei Einweg sei ihre immerwährende Neuproduktion nach einmaligem Gebrauch. Sie erfordere viel Energie, Rohstoffe und Chemikalien zu Lasten des Klimas.

Der amerikanische Getränkekonzern Coca-Cola, der eine Fülle von Limonadenmarken in den Handel bringt, hat in Deutschland schon vor geraumer Zeit damit begonnen, die PET-Flaschen seiner Sortimente mit „Tethered Caps“ zu versehen. Der Getränke-Multi sieht sich als Vorreiter der sogenannten „Angebundenen Verschlüsse“ und bezeichnet sein eigenes System in der Öffentlichkeit als „Lass-mich-dran-­Deckel“. Damit der ­Deckel an der Flasche richtig sitzt, ist Milli­meterarbeit und feinstes Abstimmen gefragt, heißt es bei Coca-Cola in Deutschland. Dafür musste eine komplett neue Technologie geschaffen werden. Der Deckel selbst trägt die Aufschrift „Fester Verschluss“. So ist schon vor dem ersten Öffnen klar, dass die Kappe fest mit der Einwegflasche verbunden ist.Verbraucher gewöhnen sich schnell an neue Dinge des AlltagsWeniger lautstark geht man bei dem ­Getränkeproduzenten ­Gerolsteiner Brunnen GmbH & Co. KG mit dem Thema „Tethered Caps“ um. Bei dem Mineralbrunnen im rheinland-pfälzischen Gerolstein werden die neuen ­Flaschenverschlüsse „Bleib-dran-Deckel“ genannt. Schon im März vergangenen Jahres standen die ersten Produkte des Unternehmens im Handel, die mit den Flaschen verankerte Verschlüsse trugen. Die Geschäftsleitung von Gerolsteiner erklärt: „Die Umstellung geht auch mit einer Materialreduktion einher – pro Flasche können so 1,3 g Gewicht eingespart werden. Klingt erstmal wenig pro Flasche, aber die Menge macht´s“. Und weiter: „Klimaschutz – auch jeder scheinbar noch so kleine Beitrag – sollte das Normalste der Welt sein.“

Auch andere Getränkehersteller, ebenfalls jene, die Discounter beliefern, haben längst damit begonnen, ihre PET-Flaschen mit den neuen Verschlüssen auszustatten. Veränderungen rufen erfahrungsgemäß Widerstände nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei den Verbrauchern hervor. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Gewöhnung an neue Dinge des Alltags schnell eintritt. Nehmen wir nur die Umstellung der Verschlüsse bei Alu-Getränkedosen in den 90iger Jahren von Abreißen auf einfaches Umklappen. Da gab es heftige Proteste in der Bevölkerung, heute natürlich kein Thema mehr, genauso wie einst die Wut gegen das Flaschenpfand. Wen der neue, feste und nicht mehr abnehmbare Deckel an den Plastikflaschen beim Trinken stört, kann jederzeit auf Mehrwegflaschen mit Metallverschlüssen zurückgreifen. Eine Alternative, die mit der neuen EU-Richt­linie befeuert werden soll.

 

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